Laurie Penny im Nimmerland: Subjektivität ohne Reflektion ist Egozentrik

Aktuell schwirrt ein Longread (5000+ Wörter) durch das feministische Interweb und sorgt für große Euphorie. Laurie Penny, bereits seit Jahren exklusiv wohl die einzige Feministin, die nicht nur von Milo Yiannopoulos geduldet, sondern wiederholt auf Vortragstouren und andere Events eingeladen wird, schreibt über dessen Armee der “verlorenen Jungs” und will eine Menschlichkeit finden, die sie bereits bei Milo in früheren Beiträgen ins Visier genommen hat. Versteckt zwischen diesen oberflächlich kritischen Beiträgen (was nicht schwer ist, da sie so unglaublich, enorm, überzogen und wahrscheinlich unnötig lang sind) ist eine Verharmlosung, die aus einem Privileg heraus entstanden ist.

In Deutschland gehört Laurie Penny zu einer Heldin des Feminismus. Die medienerprobte Autorin setzt sich für intersektionalen Feminismus ein, spricht vor allem auch die Rechte von Männern an und scheut sich nicht, Themen wie Armut, Behinderung und soziale Stellung in ihre Überlegungen mit einfließen zu lassen.

Umso unangenehmer war mir bereits ihr Profil zu Milo, das … veröffentlicht wurde, und einen bitteren Nachgeschmack hinterließ. Laurie Penny kennt Milo bereits seit einigen Jahren und hat einen für eine Feministin einzigartigen Zugang zu ihm. Obwohl sie in ihren Beiträgen immer wieder betont, dass sie seine Aussagen nicht akzeptieren kann und ihn selbst höchst problematisch findet, lässt sie sich dennoch die Exklusivität nicht nehmen und begleitet Milo immer und immer wieder. Dass Milo eventuell auch einen Mehrwert daraus zieht, scheint sie bislang nicht reflektiert zu haben. Jedenfalls findet sich diese Überlegung nicht in ihren Artikeln über ihn wieder, obwohl man sich schon fragen sollte, warum man trotz – in den eigenen Augen – starker Kritik immer wieder Zugang erhält und nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht ist.

Laurie Penny will verstehen, wie die Milos dieser Welt – und ihre Follower – ticken. Dabei verliert sie sich in einem halbromantischen Bild eines Peter Pans und dessen verlorenen Jungs – sie selbst als Wendy, einzigartig und unantastbar mittendrin – das trotz wiederholter Mahnungen, wie gefährlich Peter und seine Jungs sind, dennoch einen Kontext kreiert, den man für eine Gruppe von Männern, deren Anliegen es unübersehbar ist, Hassreden zu publizieren, Kritiker in den Selbstmord zu hetzen und sich über fast jede Minderheit lustig zu machen, eher nicht wählen würde: die jugendliche Unschuld.

Mehr als 40 Mal bezeichnet Laurie die Milo-Crew (vorwiegend “junge” Männer) als “Jungs”, “jung”, “jugendlich” und zeichnet ein Bild ambitionierter Kinder, die eigentlich nur ein schönes Leben und die Gesellschaft etwas aufrütteln wollen und es gar nicht so böse meinen. Ähnlich wie Laurie in ihrem Profil von Milo das Bild eines Mannes zeichnet, der gar nicht rassistisch, sexistisch oder einfach nur abartig ist, sondern sich nur darüber amüsiert, wie sehr sich Menschen über seine Äußerungen ärgern.

Dass Milo und sein Team dabei jedoch ernsthaft Menschen bedrohen, Grundrechte in Frage stellen und durch ihre Rhetorik radikalisieren, ist Laurie in diesem Moment egal. Wer in mehr als 5000 Wörtern nur einmal kurz am Rande erwähnt, dass nur weiße Jungs “einfach Jungs sein dürfen” (egal, ob sie bereits volljährig sind oder nicht), während schwarze Jungs bereits mit 12 Jahren erschossen und im Nachhinein als kriminelle Erwachsene dargestellt werden, die Narrative dieser naiven weißen Jungs jedoch mehr als einmal, zwei Mal und 30 Mal stärkt, verwebt und ausschmückt, der versteht entweder nicht, wie man eine gute Argumentation schreibt, oder denkt vielleicht doch ein ganz klein bisschen, dass Milo und Konsorten gar nicht so schlimm sind.

Intention und Konsequenzen werden dabei stark getrennt. Laurie Penny ist wohl eher eine Kant-Anhängerin und denkt sich, wer Böses tut, ohne direkt Böses tun zu wollen, kann so böse gar nicht sein. Dumm nur, dass das denjenigen egal ist, die echte Opfer dieser Männer sind.

Feministin Ash Sarkar empört sich daher darüber (und das nicht als einzige), dass Laurie eine Gruppe Männer verharmlost, die einen echten Schaden anstellen und sie damit zumindest einen Teil ihrer Schuld enthebt. Ähnlich wie der Satz “nicht alle Trump-Wähler sind Rassisten” ignoriert, dass aber alle Trump-Wähler einen Rassisten unterstützt haben, um welchen persönlichen Vorteil auch immer daraus zu ziehen. Mehr noch, Ash kritisiert Lauries Unfähigkeit, sich in die Schicksale der Feministinnen zu versetzen, die von Milo nicht wie gute Freunde, sondern wie Abschaum behandelt werden. Nur weil sie als hübsche weiße Feministin Privilegien genießt, die nicht jeder Feministin – besonders nicht mit einer anderen Hautfarbe – gegönnt sind, sollte sie nicht daraus schließen, dass Milo eigentlich ein netter Kerl sei.

Ein wenig erinnert das an diesen einen Freund, den wohl fast jeder hatte, der seine Freundinnen wie den letzten Dreck behandelt, aber immer nett zu seinen Kumpels ist und dessen Verhalten man daher zwar immer im Scherz kritisiert, aber immer auch entschuldigt, weil er ja eigentlich ganz ok ist, zu einem selbst, immerhin. Solange man nicht selbst von dieser entwürdigenden Sprache betroffen ist, solange man die Ausnahme ist, die die Regel bestimmt, lässt sich so einiges tolerieren, auch wenn man es eigentlich nicht so wirklich toll findet. Da wirken Lauries Beteuerungen, dass sie mit Milos Aussagen nichts anfangen kann, wie das hilflose Schulterzucken und Wegsehen, wenn er mal wieder auf eine schwarze Frau losgeht.

Laurie Penny geht wenig bis kaum auf die Kritik von Ash und Co ein. Sie sieht sich als Opfer der radikalen Linken, verweist auf einen alten Beitrag, in dem sie sinniert, wie schwer bis unmöglich es doch ist, objektiv zu schreiben, ja, dass es für sie als emotionalen, gefühlvollen, empathischen Menschen völlig unmöglich ist, objektiv zu sein. Doch es geht nicht um Objektivität. Es geht darum, dass Laurie aus einer persönlichen Beziehung zu Milo heraus ignoriert, welchen Schaden er mit seinen Hetzkampagnen anrichtet und stattdessen voller marienhafter Güte das Bild eines Mannes (und seiner Jünger) zeichnet, der noch zu retten ist. Sie ignoriert dabei, dass man nicht Milo retten muss, sondern die Menschen, die dank Milos Rhetorik echte Konsequenzen erleiden müssen.

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